Wie feiert man Ostern anderswo? Ich will hier aus Tarma berichten, eine Stadt im Andenhochland Perus. Diese Stadt ist in ganz Peru besonders für die Feier der heiligen Woche berühmt - semana santa.
Am Palmsonntag sitzen Männer und Frauen seit dem frühen Morgen vor der Kathedrale Santa Ana und flechten Palmwedel. Kunstvolle Gebilde in verschiedenen Größen entstehen und werden von den Besuchern der verschiedenen Messen gekauft und danach vom Priester mit Weihwasser geweiht. Am Nachmittag startet außerhalb von Tarma eine Prozession - geplante Dauer fünf Stunden. An der Prozessionsstrecke wurden die Häuser und Kapellen mit Grün geschmückt - Maisstängel, Zweige, kleine Bäume. Anwohner haben vor ihrer Haustür kleine Altäre errichtet und ausgeschmückt. Männer und Frauen sitzen zusammen, zupfen gemeinsam Blüten und Blätter und legen daraus bunte Teppiche, um Jesus auf seinem "Ritt nach Jerusalem" einen würdigen Empfang zu bereiten. Jesus reitet dann tatsächlich inmitten des imposanten Prozessionszuges auf einem Esel! Die Jesusfigur im prächtigen Gewand umringt von Würdenträgern und begleitet von Gläubigen mit ihren Palmwedeln - Gebete, Musik und Gesänge. An jedem gestalteten Altar an der Strecke stoppt der Zug - wird begrüßt, es wird gemeinsam gebetet, mit dem Palmzweigen Jesus zugejubelt. Die Prozession endet nach reichlich sechs Stunden in der Kathedrale in Tarma mit dem Einzug Jesu und einer festlichen Messe.
Die liturgischen Höhepunkte haben auch hier einen festen Platz - die Fußwaschung und das letzte Abendmahl, Karfreitagsgedenken, Entzündung des Osterfeuers, Weihe der Osterkerze, des Wassers, die festlichen Messen.... Mit meiner "BibelApp" kann ich die Texte der Messen gut verfolgen - die Predigten inzwischen auch einigermaßen verstehen.... und trotzdem ist alles anders. Hunderte Menschen sind jeden Abend in der Kathedrale zu den Messen, Tausende stehen draußen schon bereit, um die abendlichen Prozessionen zu begrüßen und zu begleiten. Wer das Bad in einer Menschenmenge nicht mag, ist hier fehl am Platz - man begegnet sich in aller Enge und die Suche nach der nähesten Nähe zur Jesusdarstellung erfolgt mit gegenseitigem Respekt. Neben der Palmsonntagsprozession gibt es in dieser Woche fünf weitere Prozessionen. Mittelpunkt dieser Prozessionen ist immer die Begegnung von Jesus mit Maria und den Aposteln Petrus und Johannes. Maria und die Apostel verneigen sich jeweils dreimal vor Jesus - genau vor dem Rathaus, also dem Zentrum der Gemeinde - was für eine Symbolik!
Karfreitag - in Deutschland ein gesetzlich verordneter stiller Tag - ist in Peru ein ganz normaler Arbeitstag. In Tarma und den umliegenden Orten werden Kirchen geputzt und der Blumenschmuck für die Prozessionen vorbereitet, Anstriche erneuert und gemeinsam gekocht. Es finden Wettbewerbe statt - vom Meerschweinchen-Rennen bis zum Berglauf, vom Radrennen bis zum Hahnenkampf. Dabei geht es auf keinen Fall ruhig zu - ist ja in Peru auch eine Beerdigung ein Ereignis, bei dem man mit kräftiger Blasmusik gemeinsam zum Friedhof zieht. Mit Sicherheit wird dem Leiden Christi gedacht, doch erscheint mir in Peru der Tod im alltäglichen Leben mehr integriert zu sein als das deutsche Tabuisieren von Sterben und Trauer.
Für die Karfreitagsprozession liegen bunte Blumenteppiche in den Straßen - meist sind es Blumendarstellungen oder Embleme bzw. Signets von Institutionen oder Vereinigungen. Die Straßen sind mit großen blumenumwundenen Girlandenbögen geschmückt, durch die die Prozessionen dann ziehen.
War ich von den Blumenteppichen am Karfreitag schon fasziniert - die Blütenteppiche am Ostersonntag zur Auferstehungsprozession sind noch größer und prächtiger. Die Motive sprühen vor Leben und Farben. Die ganze Nacht legten die Vertreter der umliegenden Dörfer und Stadtteile ihre Bilder auf der Straße - was für eine Form des Gebets! Es bleibt wenig Zeit diese kurzlebigen Kunstwerke zu betrachten, denn nach der festlichen Messe in der Osternacht wird der auferstandene Jesus aus der Kathedrale getragen und die Prozession geht über die Blütenbilder hinweg. Wieder gibt es eine Begegnung vor der Gemeinde/dem Rathaus. Maria kommt auf den auferstandenen Jesus zu - sie trägt einen schwarzen Umhang. Nach ihrer dreifachen Verneigung vor Jesus nimmt er ihr den schwarzen Umhang ab und sie erscheint im hellen Festkleid. "Mutter, ich nehme dir den Mantel der Trauer ab, weil ich auferstanden bin" - so verstehe ich das und bin tief ergriffen. Maria folgen die Apostel Petrus und Johannes - auch sie verlieren nach ihrer Begegnung mit Jesus ihre schwarzen Umhänge. Die Gesänge und Gebete der Prozession, das Vivat-Rufen, das Klatschen, die Osterfreude von Tausenden Menschen überwältigen mich - das ist Ostern! Jesus lebt!
Mich fasziniert, dass Glaubensleben nicht nur in der Kirche stattfindet sondern so ausgiebig und oft und im ganzen öffentlichen Raum. Alle Menschen scheinen unterwegs zu sein - vom Kleinkind bis zu den Ältesten, die meist von ihren Enkeln und Kindern geführt werden. Ach ja, Osterhasen, Ostereier und ähnliches gibt es hier nicht - ja kleine Süßigkeiten tauscht man aus - aber ansonsten ist Ostern die Feier der Auferstehung Jesu, auf die man sich in der Heiligen Woche vorbereitet hat.