Schulen und Kinderheime in Peru

Die Eröffnung des Schuljahres nach den Sommerferien ist ein Ereignis, das ich in Huanuco im Colegio "Santa Elisabeth" miterlebt habe. Am Sonntag vor Schulbeginn sind die Lehrer dabei, ihre Unterrichtsräume mit Willkommenssprüchen, Luftballons und Girlanden für ihre Schüler zu schmücken - das kann bis tief in die Nacht gehen und ich stelle mir vor, was deutsche Lehrer am Vorabend für den ersten Schultag tun.

Das Schuljahr beginnt mit einer Veranstaltung im Innenhof und in meiner Erinnerung steigen Bilder von Schulapellen in meiner Kindheit und Jugend in der DDR auf - aber es ist ganz anders! Vom freundschaftlichen Umgang der Schüler mit ihren Lehrern - Lehrern mit ihren Schülern - habe ich ja schon berichtet. Es herrscht eine offene und leichte Atmosphäre - alle Schüler werden einzeln begrüßt - auch an normalen Schultagen - man umarmt sich und gibt sich schon mal ein Wangenküsschen. Nach dem Singen der Schulhymnen und der Nationalhymnen eskortieren die großen Jungen die peruanische Flagge im Stechschritt ins Schulhaus - damit kann der normale Schulbetrieb dann losgehen.

Ein weiterer großer Unterschied zu deutschen Schulen ist mir in Lima im Collegio Maria Goretti, welches von Sr. Janet als Schuldirektorin geleitet wird und wo weitere Schwestern tätig sind, aufgefallen: Dort gibt es ein Patensystem der Großen zu den kleinen Schülern. Kenne ich aus Deutschland Mobbing und den Kampf der Großen gegen die Kleinen, durch den jeder Schüler an deutschen Schulen irgendwie durch muss - in Lima führen 17jährige Jungen kleine Jungen und Mädchen aus der Vorschule an der Hand von der Kirche ins Schulhaus und passen auch während der Messe auf ihr Benehmen auf - ohne Arroganz und Gehabe. Das hat mich sehr berührt.

In Huanuco gibt es neben der Schule "Santa Elisabet", wo Sr. Ildaura und Sr. Arletti arbeiten und Sr. Noemi langjährig Schuldirektorin war, auch ein Waisenhaus. Dieses staatliche Kinderheim wird von der Kongregation unterstützt - dort ist Sr. Carmela tätig. Gegenwärtig wohnen dort 17 Kinder im Alter von 3 Monaten bis 5 Jahren mit der Perspektive, adoptiert zu werden. Mein erster Tag in diesem Heim war der Tag vor dem Schuljahresbeginn - da ist besonders viel zu tun. Die Schulkleidung muss komplettiert und angepasst werden, Schultaschen sind fertig zu packen - und die Haare sind zu schneiden. Gleich nach meiner Ankunft dort und einem kurzen Besuch bei den Babys bin ich dann schon wieder mit 6 Kindern unterwegs durch die Stadt zum Friseur. Die langen Haare der Mädchen weichen einem Pagenkopf und bei den kleinen Jungen werden sogar die Nacken ausrasiert... - voller Service mit Rasiermesser, Puder und Bürstenpinsel...und "Gutrieche"... So verwandeln sich die mir bis dahin noch kaum bekannten Kinder von Kleinkindern in Schulkinder - und mir fällt es noch schwerer, die Namen richtig zuzuordnen... 

Beim Überprüfen der Schulkleidung stellen wir fest, dass Frederico sehr gewachsen ist.... die Hosenbeine müssen verlängert werden - Einsatz für mich. Schmuck sehen die Kinder aus - Jungs mit Hemd, Fliege, langer Hose und Weste - Mädchen mit Kleidern, weißen Söckchen mit Spitzenrand, Haarschleifen und alle tragen schwarze Schuhe - da muss natürlich auch nochmal nach der Größe geschaut werden. 

Am ersten Schultag tragen alle Mädchen komplizierte Flechtfrisuren mit blau-weißen Haarschleifen und Spangen - das sind die Schulfarben der Schule. Gemeinsam gehen wir in die Schule - mit Rucksack für die Schulsachen und einer Brottasche für die Verpflegung. Es ist wie einen kleine Prozession und wir erregen etliches Aufstehen - es gibt anerkennende Blicke.

Einige Tage später bin ich gerade wieder im Kinderheim, als eine staatliche Inspektion mit Checkliste anwesend ist - dabei wurden sogar die Betten gerüttelt, ob sie auch stabil genug sind - sind sie! Matratzen werden kontrolliert und ich sitze daneben im Schlafraum und repariere gerade Kuscheltiere - Frau Puppendoktor. So ganz hat das wohl niemand außer den Kindern verstanden, doch ich habe mir vorgestellt, dass diese Kuscheltiere das einzige persönliche Eigentum der Kinder sind - Kleidung wird ja ausgewachsen und weitergegeben. Da musste ich einfach die aufgeplatzten Nähte flicken und habe noch Herzen drauf genäht.

Einige Wochen später lerne ich das Kinderheim in Tarma kennen - dort ist keine Schwester direkt tätig, doch mit Unterstützung der Franziskusschwestern waren dort schon junge deutsche Frauen im Freiwilligendienst. Was für ein Unterschied zum Heim in Huanuco! Im Heim leben zur Zeit 25 Kinder und Jugendliche von 3 bis 17 Jahren. Als ich ankomme, wäscht einer der Jungen aus der großen Gruppe im Hof Wäsche mit der Hand am Steintrog - und natürlich kaltem Wasser. Ich stelle mir vor, wie deutsche Jugendliche im Alter von 16 Jahren auf diese Aufgabenstellung reagieren würden ... irgendwie unvorstellbar, doch hier völlig selbstverständlich und wichtig, um sich auf das Leben in Selbständigkeit vorzubereiten.

Neben der Gruppe mit den großen Jungen (15-17 Jahre) gibt es zwei Gruppen mit Kindern von 3-14 Jahren, die wie in einer Familie mit Hausmamas zusammen leben - Küche, Wohnzimmer/Aufenthaltsraum und die Schlafzimmer der Kinder. Gerade ist Hausaufgabenzeit und es ist wie in einem ganz normalen Familie - die Mutter versucht auf die Großen und ihre Fragen einzugehen - die Kleinen verlangen Aufmerksamkeit.... Da kann ich für einige Zeit übernehmen. Am Wissensstand der Kinder wird mir der Unterschied zum Heim in Huanuco noch einmal sehr deutlich - dort können die Kinder gut und angemessen gefördert werden - kommen doch alle aus schwierigen Verhältnissen oder werden als Babys ausgesetzt. Ich wünschte mir auf einmal die staatliche Kontrolle der Behörde hier her und etwas mehr Unterstützung. 

Vor dem Besuch im dieser Einrichtung habe ich noch Obst und Süßigkeiten gekauft, auch hatte ich noch einige Kartenspiele und Kleinigkeiten im Gepäck - was für eine Freude! Jede Gruppe bekam ihren Anteil nach Anzahl der Kinder - für die Kleinen waren eher die bunten Kaugummi der Renner - für die Großen das Fußball-Kartenspiel. Einer der großen Jungs macht gerade einen Ausbildung in der Gastronomie - da gab es gute Gespräche und gemeinsame Erfahrungen in Trage- und Schneidetechnik aufgrund meiner eigenen Erfahrungen.

In Puno - ganz im Süden von Peru am Titicacasee - konnte ich ein weiteres Kinderheim - das staatliche Heim "Fatima" kennenlernen. Bruder Vincente, ein deutscher Franziskaner-Minorit, unterstützt hier viel und arbeitet in Workshops mit Hunden und Pferden mit den Mädchen verschiedener Einrichtungen - neben seiner Tätigkeit als Gefängnisseelsorger, landwirtschaftlicher Spezialist für Saatgut, Dozent an der Universität in Lima, Exerzitienbegleiter, usw. Eine sehr beeindruckende Persönlichkeit!

Bruder Vincente hat mir den Besuch im Kinderheim Fatima ermöglicht. Er ist in einem Netzwerk tätig, das verkaufte und missbrauchte Mädchen aus Peru und Bolivien aufnimmt und unterstützt. Sie werden in streng abgeschirmten Einrichtungen betreut bis die Gerichtsverfahren abgeschlossen sind. Im Heim Fatima leben zur Zeit 56 Mädchen im Alter von 9 bis 18 Jahren - es sind Waisen, junge Straftäterinnen, Sklavinnen... Ich darf vor den Mädchen sprechen und berichte von meinen persönlichen Erfahrungen - es sind sehr berührende und bewegende Begegnungen - in allen Kinderheimen, die ich in Peru besuchen durfte. 

 
 

Autor: Uta Fielitz2024-04-15

"Wenn es dir gut tut, dann komm!"

(Franz von Assisi)